Ein letztes Mal gerasselt...

von Christian (Kommentare: 0)

29. März 2022: Rassler Bauer Goldschmied

Aller guten Dinge sind zwanzig. So viele Male konnte man in den vergangenen fünf Jahren die spannende Wort-Musik-Geschichte der Rassler erleben, welche als Beitrag des Folkclub PRISMA zum Pforzheimer Schmuckjubiläum "250 Jahre Goldstadt“ ihren Anfang nahm. Mit viel Liebe zum Detail wurde zu den „Goldschmiedbäuerle“ recherchiert, getextet, komponiert, arrangiert und alles zu einem abendfüllenden Programm zusammengesetzt. Am Dienstag gaben sich die Musiker*innen Christian Roch, Sven Puchelt, Roland Bliesener, und Christina Sogl nun zum letzten Mal die Ehre, um die spannende Geschichte der Rassler zu erzählen, vom Aufstieg Pforzheims zur Schmuckmetropole bis hin zu ihrem schleichenden Niedergang.

Wir schreiben das Jahr 1767. Der Markgraf Karl Friedrich von Baden genehmigt die Einrichtung einer Taschenuhrenfabrik, die bald um eine Schmuck- und Stahlwarenfabrik erweitert wird. Tausende von Bauern aus umliegenden Orten sehen in dieser Art von Fabrikation ihre Zukunft und nehmen ab Mitte des 19. Jahrhunderts täglich bis zu sechs Stunden Fußmarsch auf sich, um in der boomenden Schmuck- und Uhrenindustrie zu arbeiten. Eine zeitgenössische Szene der „Rassler“ zeichnet das Gedicht von Wilhelm Hagenmeyer, welches zusammen mit „O Schwarzwald, o Heimat“ des Schmuckfabrikanten und Dichters Ludwig Auerbach, den Beginn unserer Reise markiert. Beide Melodien stammen aus der Feder von Christian Roch.

Erzählungen und historische Berichte werden durch Interpretationen von Volkstanzmelodien wie Ländler, Walzer, Polkas oder Polonaisen aus dem Badischen und Schwäbischen sowie eigens hierfür komponierten Liedern musikalisch illustriert, um Schwarzwälder Heimatgeschichte lebendig werden zu lassen. Dabei schöpfen die Musiker aus der Klangvielfalt ihrer Instrumente: Violine und Concertina (Christina Sogl), Keyboard/Effekte (Roland Bliesener), Hackbrett, Gitarre und Bodhrán sowie Akkordeon, Ukulele und Whistle (Christian Roch).

Die „Rassler“: Wer waren sie? Wie lebten sie? Ob nun der Name auf das Rasseln ihrer genagelten Schuhe oder das Klappern der „Henkelmänner“ nebst schepperndem Besteck zurückzuführen ist, bleibt dahingestellt. Tatsache ist, dass die kleinen Nägel im Schuh den Verschleiß der Sohlen verringerten und somit beim Sparen halfen. Und sparen mussten die Rassler. Zudem arbeiteten sie täglich elf Stunden an schlecht ausgestatteten Arbeitsplätzen in mangelhaft belüfteten Räumen, um am Abend zu ihrer kleinen Landwirtschaft zurückzukehren, welche sie neben dem kargen Lohn in der Fabrik ernährte. Doch trotz aller Mühsal waren die Rassler dem Feiern nicht abgeneigt und so floss am Zahltag manch Lohn derer, die den Verlockungen der Ausfallstraße erlagen, in die Taschen der Schankwirte, Bäcker und „käuflichen Sirenen“.

Die Geschichte geht weiter. „Ein stolzes Schiff“ mit Text von H. Schacht und Musik von E. Schmeckenbecher erzählt von der Auswanderung vieler Arbeiter nach Amerika ab Mitte des 19. Jahrhunderts und der Hoffnung auf ein besseres Leben. Reiseberichte aus dieser Zeit gaben Tipps zu Proviant und Unterkunft und warnten vor Betrügereien auf dem Weg nach Übersee. Wer zuhause blieb, arbeitete in der aufstrebenden Schmuckbranche, die um 1904 schon um die 540 Bijouteriefabriken zählte. Neue Berufe wie Kapo, Schmotz und Polisseuse entstanden. Auch die Heimarbeit etablierte sich, und so ließen sich auch die neuen Sozialgesetze für Arbeiter leicht umgehen, zumal die Rassler sich mit politischem Engagement eher zurückhielten. Das Lied „Miese Zeiten“ (W. Rosen), instrumentiert und interpretiert im Stil der 1920er Jahre, verleiht dieser Misere Ausdruck.

Ein gewaltiger Einschnitt in die Geschichte Pforzheims war die Bombardierung im Jahr 1945. Eisenbahn und Auto traten an Stelle der Fußmärsche, die Geschichte der Rassler wurde nach und nach zur Folklore. Geblieben sind thematische Wanderwege, ein Rassler-Denkmal von Fritz Theilmann und ein großartiges Bühnenprogramm. Vielen Dank an die „Rasslerbande“ und die helfenden Hände des Folkclub Prisma. Dank auch an das zahlreich erschienene Publikum, das diesen Abend zu einem ganz besonderen Erlebnis machte.

smo

Zurück

Kommentar schreiben